Herbst 2022 – „Grandtour – Made in Kaisersaschern“

Hier finden Sie fotografische Eindrücke.

Keine Bilderausstellung ist es geworden, sondern der ganze Raum einschließlich Turm wurde mit den Medien Malerei, Zeichnung, Emaillemalerei und installativen Kunstwerken zu einer Gesamtinstallation inszeniert. Dafür errichteten die Künstler im Kirchenschiff einen weißen fensterloser Raum, einen White Cube. Einzelne wild gewachsene Bäume, die die Kirchruine im laufe der Jahre erobert haben, ragten über die Mauern hinaus …

Seit 2016 waren die Hallenser Künstler Rüdiger Giebler und Moritz Götze unterwegs auf einer „Grand Tour“: an über 30 Orten in aller Welt haben sie ihre Arbeiten gezeigt: Ahrenshoop, Athen, Berlin, Brüssel, Düsseldorf, Erfurt, Halle, Hannover, Karlsruhe, Linz/Östereich, London, Magdeburg, Mannheim, Melbourne/ Australien, München, Napier / Neuseeland, Naumburg, New York, Oldenburg, Potsdam, Poppi/Italien, Saarbrücken, Schraplau,Schwäbisch Hall, Schweinfurt, Sellin, Tarangambadi/Indien, Teterow, Teneriffa …

Mit dem Begriff der „Grand Tour“ nahmen sie unmittelbar Bezug auf jene kanonisierte Bildungsreise, die vom 17. Jahrhundert an vorzugsweise junge Männer aus adeligem Hause quer durch Europa führte - zur Erweiterung ihres Horizonts, zur Vervollkommnung ihrer Bildung, günstigenfalls auch zur Einsichtnahme in andersartige Lebenswelten und zur Aufnahme und Vertiefung von Kontakten in ihren Kreisen: im besten Falle eine lebensprägende klassische Bildungsreise ...

Basis der „Grand Tour“ ist der mitteldeutsche Raum gewesen, das Bundesland Sachsen-Anhalt. Die erste Ausstellung und der Start der „Grand Tour“ fand 2015 in der Landesvertretung von Sachsen-Anhalt in Brüssel statt. Und so hatten die beiden Künstler nunmehr für die letzte Ausstellung vom 10. September bis 30. Oktober 2022, die die „Grand Tour“ 2022 beschloss, das Dörfchen Pobles bei Lützen ausgewählt.

Hier finden Sie die Rede von Rüdiger Giebler, gehalten anlässlich der Ausstellungseröffnung am 10. September 2022.

Am Anfang hab ich gedacht, das mit „Kaisersaschern“ ist ein werbestrategischer Gag und jetzt stehen wir hier und betreiben Landschaftspflege und entwickeln pädagogische Konzepte.

Wie hätte Thomas Mann auf unsere Versammlung reagiert: er hätte sicher mit sonorer Stimme und wohlwollender Herablassung unser braves Bemühen gewürdigt, Friedrich Nietzsche wäre etwas beißend Spöttisches eingefallen – irgendein Bezug zu dem Wärmebedürfnis von Horden niederer Kreaturen und der Pfarrer Oehler hätte die Hände über den Kopf zusammengeschlagen und Trost in einem stillen Gebet gesucht.

Kaisersaschern, was hat sich Thomas Mann da nur gedacht.
Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub//Warmer Körper/Heißes Kreuz/Falsches Urteil/Kaltes Grab/Heimlich werd ich auferstehen/Und du wirst um Gnade flehen/Dann knie ich mich in dein Gesicht/Und steck den Finger in die Asche. Rammstein – wie sie bemerkt haben werden. Hätte das Nietzsche gefallen? Ist Nietzsche auch für Rammstein verantwortlich? Das ist die mitteldeutsche Misere, es fehlt an Überblick, aber alle reden mit, man streift ein Thema, sagt „Nietzsche“ und schon platzt die nächste Beule auf.

Und mit der kaiserlichen Würde ist es es in Kaisersaschern auch nicht weit her. Thomas Mann lässt Otto III., einen eher glückloser und mystisch verwirrten Herrscher, der sich jenseits der Alpen mit dem römischen Adel angelegt hatte und schon mit 22 Jahren starb, im Dom von Kaisersaschern ruhen. In Wirklichkeit liegt er in Aachen.
Wir haben hier nur in Merseburg das Grab von Rudolf von Rheinfelden. Der Gegenkönig von Heinrich IV. fiel im Oktober 1080 in einer Schlacht bei Hohenmölsen. Gleich hier um die Ecke. Da ist jetzt ein großes Loch in der Erde. Seine in der Schlacht abgeschlagene Hand wird in Merseburg gezeigt. Ich hab sie schon als Kind bei einer Klassenfahrt gesehen. Die wurde aus einem Tresor in einem Büro neben dem Kreuzgang geholt und klapperte in einer Pappschachtel. Ich kann mich erinnern, dass ein Fingernagel fehlte. Aschgraues Pergament mit winzigen Wurmlöchern.

Kaisersaschern ist vor allem Synonym für Heimat, für die man nichts kann, in die man hineingeboren ist – eine Anhaftung, eine besondere Beeinträchtigung mit der man leben muß, und wo man zum Selbstschutz die Sinnsuche lieber einstellt und der man mit positiven Denken das beste abgewinnt.

Unsere Ausstellungstournee läuft nun seit sechs Jahren. Sechs Jahre Arbeit an einem Projekt, mit reger Reisetätigkeit verbunden. Die Künstlergruppe Brücke und der Blaue Reiter haben nicht so lange durchgehalten. Im Gegensatz zu denen müssen wir nur noch ein wenig an der Nachhaltigkeit unseres Markenproduktes arbeiten.

So eine  GrandTour ist kein Privileg mehr, die meisten von ihnen haben mehr von der Welt gesehen. Auf so einer GrandTour, lernt man vor allem sich selbst, ein paar überaschende Orte und sehr verschiedene Galeristen kennen. Das ergibt ein differenziertes Bild und deshalb hab ich die meisten Ausstellungen auch lieber selbst eröffnet – ich stehe also hier aus alter Gewohnheit. Ich beharre darauf von der Bühne getragen zu werden.

Zur Selbsterkenntnis: warum funktioniert so was wie diese Ausstellungstournee? Was ist das mit der künstlerischen Auseinandersetzung.
Wir beide setzen auf konservativen Kommunikation: Tafelmalerei, handabgezoge Druchgraphik, Zeichnungen, Bücher, Emaillekunst, der Raum um das zu zeigen ist die Galerie, das Wohnzimmer oder Foyers öffentlicher Einrichtungen, am besten was mit Parkett.
Die Ereignisse brauchen ein Grußwort und eine Einführungsrede und einen Getränkeausschank und ein Büffet und eigentlich ein musikalisches Begleitprogramm. Leider haben wir das jetzt (aus Altersgründen) dreißig mal ohne das grandiose „Elkaduo“ durchstehen müssen.

Und Gegensätze sind eine Bestandsgarantie. Götze und ich arbeiten nach sehr verschiedenen Methoden. Das Entscheidende ist nicht, dass er fleißig ist und ich sehr faul bin. Der Unterschied ist, dass Götze Geschichten erzählt und auf meinem alles im Nebel verschwindet.
Bei Götze gibt es eine Geschichte vor dem Bild, auf dem Bild und nach dem Bild.
Ein Beharren auf einem Realitätsanspruch – auch wenn er noch so verdreht ist. Selbst wenn die Fülle an Objekten die Protagonisten einengt und in ihrem Fortkommen behindert. Überall liegt Geschichtsgerümpel rum. Stolperfallen. Götze beharrt darauf, dass nix wegkommt, alle Dinge haben das Recht gezeigt zu werden.
Das wird durchgehalten. Er ist realitätsversessen ohne dass die Poesie darunter leidet.
Götze glaubt an das Gute im Menschen, daran dass die Dinge, die gemacht werden müssen, auch gemacht werden, sonst würden wir auch nicht hier stehen. Götze eifert dem Namenspatron Friedrich Wilhelm Nietzsches nach, als Romantiker vor der Leinwand und auf der Baustelle. Friedrich Wilhelm IV. hatte seine Friedenskirche in Potsdam und den Kölner Dom und Götze hat die Ausgestaltung der Schlosskirche St. Aegidien in Bernburg und rettet die Kirchruine St. Gangolf in Pobles.

Und ich –ich male um zu vergessen.
Die Bilder bestehen aus Schichten von Übermalungen. Alle Entwürfe, Geschichten, Pläne, Phantasien werden überdeckt, zugekleistert, unkenntlich gemacht. Jede Vorzeichnung, jeder Realitätsschnipsel sackt ab im Unbestimmten. Was bleibt sind vage Konstellationen, Erinnerungslosigkeit.
So zu malen ist auch eine glückhafte körperliche Erfahrung. Die imagiäre Welt der Bilder wird sehr leicht. Die Formen verschwinden, alles liegt an der Grenze zur Erkennbarkeit. Das, was dann als Bild auftaucht, trägt keine Lasten. Das Material wird transparent. Die Figuren durchschreiten einen Vorhang.
Schon Georg Christoph Lichtenberg sprach vom kulinarischen Effekt des Vergessens verbunden mit dem leckeren Moment des Wiedererkennens. Von ihm stammt der Aphorismus: dass er das Meiste vergisst was er gelesen hat, wie das was er gegessen, beides nährt und Geist und Leib.
Als Tipp: wenn sie ein Bild von mir sehen mit drei Leuten drauf, so soll das ihnen eine Hilfe sein, alle Situationen in ihrem Leben in denen es Dreierkonstellationen gegeben hat, vergessen zu können.

Wenn man auf einer Reise ist, sieht man seltsame Dinge und kommt auf seltsame Gedanken. Ich schau mir am liebsten Bilder an. Zum Bespiel Pierre Bonnards  „Braunkohlengrube“ in München in der Neuen Pinakothek. Für den französischen Spätimpressionisten war das eine Auftragsarbeit. Sein Mäzen wollte seine florierende Braunkohlengrube (mit der er gutes geld verdiente) und seine über alles geliebten Kinder auf einem Bild sehen. Format zwei meter fünfzig mal drei meter dreißig. Das ist eine Landschaft in graulila Tönen in der die Arbeiter und die Perspektiven und die Raumstaffelung sich auflösen. Man braucht wirklich eine geraume Weile um zu begreifen, was gemeint ist. Nur in der vorderen rechten Ecke gibt es ein Stückchen grüne Wiese und darauf spielen zwei Kinder. Eine große Melancholie in Pastelltönen, Empfindungen, die es auch hier in dieser Gegend aufkommen mögen.
Bei diesem Bild, das eine zauberhafte in sich ruhende Gelassenheit ausstrahlt, wird einem klar: es ist von Vorteil: man muß manche Sachen auch einfach NICHT können um sie zu meistern.
Das geht nur in der Kunst.

Was Philosophen, Theologen und Politiker mit Neid betrachten ist die Befreiung durch die Kunst: aus Zwängen, Regeln, Prozessen der Intellekttualität, der Begrifflichkeiten.
Weil im Kunstwerk der Moment und die Unendlichkeit in eines fällt.
Jedes Bild, jeder Vers, jede Erzählung, jede Musik unterstellt, dass es einen Sinn geben muß.
Heiner Müller hat mal gesagt, und auch da ist die Quellenlage recht unklar, aber auf alle Fälle gut übernommen: das Werk ist immer intelligenter als sein Autor. Das ist das Einzige worauf der Künstler sich verlassen kann. Über Nutzen gibt es keine belastbaren Erkenntnisse. Die meisten Kunstwerke sind morsche Holzwege, die nirgendwo hinführen.

Eins noch zu Kaisersaschern und Thomas Mann. Ich empfehle zum „Doctor Faustus“ parallel „Meister und Magarita“ von Michail Bulgakow zu lesen. Beide Bücher sind fast zur gleichen Zeit entstanden. In beiden spielt der Beelzebub eine wichtige Rolle. Beide Bücher wurden in katastrophaler Lage geschrieben. Beide Autoren sahen ihre Welt untergehen.

Bei Mann ist die Wahnvorstellung eines Teufelspaktes eine Erklärung der von Deutschen verursachten Katastrophe des Nationalsozialismus und des Weltkrieges. Ein Buch das einem alle Hoffnung nehmen kann.

Wenn es bei Thomas Mann eine Orgie gibt, bekommt der Komponist Leverkünm promt die Syphilis und ist für den Rest des Romanes liebesunfähig.
Veranstaltet der Teufel bei Bulgakow eine Orgie lernt man lauter nette Leute kennen.

Bei Bulgakw erodiert das vom stalinistischen Horror gezeichnete Moskau im Slapstik. Der Meister bekommt Hilfe vom Teufel. Der gibt die Garantie ab, dass Manuskripte nicht brennen. Dieses in dem Roman unantastbare Manuskript des Meisters ist so etwas wie das Fünfte Evangelium – eigentlich kein Text um den sich der Teufel kümmern müßte.
Und Bulgakow hatte wirklich allen Grund anzunehmen, dass sein Manuskript niemals veröffentlicht würde.

Bei Thomas Mann brennen alle Gewissheiten. Der Chronist des Romans, der Gymnasiallehrer Serenus Zeitblom, muß seine Aufzeichnungen vor seinen Söhnen, die in der Wehrmacht als Offiziere dienen, verstecken. Er traut den eigenen Kindern nicht oder will sie keiner Gefahr aussetzen. Keine Hoffnung bis zum Schluß.

Vorab vielen Dank an Jens-Fietje Dwars. Bei seiner Eröffnungsrede 2018 im Nietzsche-Haus in Naumburg hat er Moritz Götze in der Kategorie eines nach dem apollonischen Prinzip tätigen Künstlers und mich mit dem dionysischen definiert. Das ist auf der Weltsicht Nietzsches beruhend. Es ist durchaus erhebend, wenn man als sachsen-anhaltischer Bürger in Definitionen der antiken Götterlehre betrachtet wird.
So – und nun können sie das alles vergessen.

Begleitprogramm

10.9. 15 Uhr Ausstellungseröffnung mit einer Begrüßung von Lüder Laskowski (Kaisersaschern e.V.) und einführenden Reden von Jens-Fietje Dwars und Rüdiger Giebler. Für Getränke und Imbiss ist gesorgt.

24.9. 17 Uhr Podiumsgespräch mit Prof. Jochen Hörisch (Literatur- und Medienwissenschaftler) und Jens-Fietje Dwars (Autor und Herausgeber). Alles dreht sich um Kaisersaschern, Pobles, Nietzsche, Thomas Mann, Grand Tour und Geschichte. Für Getränke ist gesorgt.

25.9. 14:30 Uhr Im Goethe-Theater Bad Lauchstädt - Turandot von Friedrich Schiller, Produktion des Theaters VAROMODI, Regie Anna Sigmund-Schulze, Bühnenbild Moritz Götze; Die ebenso schöne wie grausame Kaiserstochter Turandot will nur denjenigen Mann heiraten, der imstande ist, drei von ihr gestellte Rätsel zu lösen. Gelingt es ihm nicht, wird er enthauptet. Zehn Freier haben bereits ihre Köpfe verloren. Aber dann kommt Prinz Kalaf …

25.9. 18 Uhr Lesung Matthias Jügler - In seinem hochgelobten Roman "Die Verlassenen" setzt sich Matthias Jügler mit der DDR auseinander. Eine Zeit in seiner frühen Kindheit, an die der 1984 in Halle geborene Schriftsteller kaum mehr eigene Erinnerungen hat. Die Romanfigur Johannes, begibt sich auf Spurensuche in seine ostdeutsche Vergangenheit. Um so authentisch wie nur möglich erzählen zu können, führten Jüglers Recherchen in die Online-Mediathek des Stasi Unterlagen-Archivs und zum Halleschen Maler Moritz Götze. Er wird mit dem diesjährigen Klopstock-Preis für neue Literatur ausgezeichnet.

30.9. 17 Uhr Podiumsgespräch mit Andreas Montag (Mitteldeutsche Zeitung) mit Rüdiger Giebler und Moritz Götze.

         19 Uhr Sprengbagger 1010, Ein deutscher Stummfilm von 1929 mit Heinrich George. Die Filmhandlung ist in der Region angesiedelt. Eine Familie und eine Beziehung im Konflikt zwischen Fortschritt und Zerstörung der Heimat. Der reale Hintergrund des Films sind die Erschließung des Geiseltals und der Aufbau der Leuna-Werke. Dieser Film wurde vom Filmarchiv des Bundes und ZDF und Arte 2010 digital restauriert.

1.10. 15 Uhr Der kleine Prinz, Produktion des Theaters VAROMODI nach Antoine de Saint-Exupèry für Kinder ab 6 Jahren und Erwachsene.

9.10. 17 Uhr Lesung mit Clemens Meyer - Nichts ist geheimnisvoller für uns Menschen, als unter die Erdoberfläche zu schauen: Die Höhlen, die Bergwerke, die Abraume – alles eine verwunschene Landschaft, die die Phantasie bewegt. Aber nicht selten können solche Sehnsuchtsorte auch mit viel Schmerz, mit Verlust und mit Beschädigungen der menschlichen Würde verbunden sein. Und davon erzählt Clemens Meyer in seinem Buch „Stäube“.

30.10. 15 Uhr Finissage mit Kaffee & Kuchen, Buchpremiere des neuen Kataloges, der anlässlich der letzten Grand Tour Ausstellung erscheint. Abschließende Worte von Rüdiger Giebler, Moritz Götze und Lüder Laskowski. Bei Anbruch der Dunkelheit exklusive Vorführung des neuen Films Das  Kaisersaschernprojekt von Uwe Dieckhoff, der noch vor der ersten Ausstrahlung durch die Deutsche Welle hier in Pobles gezeigt wird.

Fortlaufend: Im September und Oktober boten die Kunsthistorikerin Dr. Ulrike Brinkmann und die Künstlerin und Pädagogin Larissa Mühlrath den Schulen in und um Lützen Kunstpädagogische Vormittage am Ort an – mit Bustransfer – Ausstellungsbetrachtung und künstlerische Selbsterfahrung. Anbei finden Sie ein Exposé zum Download.


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